Karte

Analysen

 (3 /  5)
keine Kategorien

Religion in Rio Reiser's Texten

Schon in Rio's Schulzeit hatte Rio Reiser sich, obwohl in einem konservativen Gymnasium mit Religionsunterricht, kritisch mit der christlichen Religion auseinandergesetzt und zum Beispiel hinterfragt, wieso es in einem christlichen Land überhaupt eine Bundeswehr gäbe. Religion war sein Lieblingsfach in der Schule. Er sagt zu der Bibel: "... Ich lese jeden Tag die Bibel, Du wirst es nicht glauben, aber ich tu's. ... Ich muß auch sagen, ich setze mich damit jeden Tag auseinander. Es ist für mich ein Kampf mit der Bibel, was das nun sein soll, aber es ist nun mal - Es gehört nun mal zu unserer Kultur, und ich bin damit aufgewachsen. Deswegen setze ich mich damit auseinander, und das interessiert mich einfach sehr." (aus: Radiointerview mit Markus Hertel in "H3-Bingo", 1987, entnommen der Zitateseite von R. Sommerfeld).
In seinen frühen Jahren war seine Sicht von Gott, Paradies, und den dazugehörigen Dingen geprägt. Einer der ersten Songs "Mein Name ist Mensch" (1970) zeigt ganz klar, daß er alle Menschen als Familie sieht, daß alle einen gemeinsamen Ursprung haben, in diesem Falle sicher Adam und Eva. Der Song "Der Turm stürzt ein" (1980) soll sicher auf den Turm von Babylon anspielen. Für die, die damit nicht so vertraut sind: Der Turm von Babylon ist das Symbol für die Herrschaft der Menschen über Gott, denn sie hatten beschlossn, einen Turm zu bauen, der bis in den Himmel ragt, um Gott näher zu sein. Gott mißbilligte den Bau sehr und strafte sie mit verschiedenen Sprachen, damit sie sich nicht mehr verständigen können. Wenn er also singt, daß "der Turm einstürzt", meint er, daß die Menschen wieder die Herrschaft verlieren und anhand des restlichen Textes wird klar, daß er seine Endzeitvision beschreibt. Auch die Zeile "Jesus kommt trotz Pillenknick" ist interessant, denn Jesus kam als Gottes Warnung, die Menschen an ihr Versprechen zu erinnern, daß Moses ihm gegeben hat. Es lautete, daß sie nur Gott verehren und sündenfrei bleiben, und er sie im Gegenzug dafür immer beschützt. Daraus resultieren die Zehn Gebote. Jesus predigte ewig, das Königreich von Gott zu akzeptieren, also nach seinen Gesetzen (sündenfrei) leben. Nun, Jesus kam schon, doch der Judaismus glaubt nicht daran, daß Jesus der wahre Messias war und warten immer noch auf den richtigen. Das will er bestimmt damit ausdrücken. Der richtige Messias kommt, um die Menschen zum zweiten Mal auf ihre Fehler aufmerksam zu machen.

Trotzdem zweifelt er nicht am Paradies und daß gute Menschen dort hinkommen. "Und trennt nichts vom Paradies außer unserer Angst" und "Es war Friede bei den Menschen und unter den Tieren. Das war das Paradies." Er setzt seine ganzen Hoffnungen in diesen Traum.
Später fängt er aber immer mehr an, an diesem Traum zu zweifeln, was sich in vielen Liedern bemerkbar macht. In "Jenseits von Eden" (1980) fragt er zum Beispiel: "Hält Gott die Zehn Gebote?" Ich habe oben schon erläutert, daß diese Gebote das Resultat des Versprechens mit Gott sind, und er fragt sich, ob Gott sie immer noch beschützen wird. Auch sonst ist das Lied ziemlich deprimierend und drückt seinen Pessimismus aus. Er weiß nicht, wo er hingehen soll, und wo er herkommt ("Ich bin ein Fragezeichen"). Auf demselben Album wie "Jenseits von Eden ist auch der Song "Filmkuß", indem er singt "Der Himmel ist göttlich, wenn es ihn gibt." Er glaubt also noch an die Herrlichkeit das Paradieses, zweifelt aber, ob es überhaupt existiert.
Schließlich mündet alles in einem seiner als letztes geschriebenen Songs "Sinn des Lebens". Der Text lautet: "Gibt's ein Leben nach dem Tod, gibt's ein Leben davor? Wird es sich öffnen, das große Tor?" Die Frage ist klar. Was passiert, wenn wir sterben? Kommen wir ins Paradies? Auch die Wahl zwischen seinen Wegen eröffnet keine großartigen Perspektiven: Links liegt die Liebe, rechts Ruhm und Ehre, vor ihm die Not, hinter ihm der Tod. Falls er also einfach weitergeht, erwartet ihn Not, zurück kann er auch nicht, denn dort steht der Tod. Es bleibt nur noch links und rechts. Folglich muß er seine Richtung, sein Leben ändern, um etwas zu erreichen.
Die Frage "Gibt es einen Gott, hat er nur ein Kind?" im gleichen Lied geht wieder mal auf die oben erklärte Haltung zurück, daß Gott doch noch ein weiteres Kind außer Jesus haben könnte, daß er auf die Welt schicken kann. Die Fragen, ob Buddha Buddha ist und so weiter zweifeln an den Aussagen verschiedener Religionen allgemein. Gibt es wirklich jemanden, der alles weiß?

Zusammenfassend kann ich sagen, daß Rio immer an das einfache Prinzip "Gute Leute kommen in den Himmel, böse in die Hölle" geglaubt hat, aber immer depressiver und zweifelnder wurde, weil er nicht mehr das Positive im Menschen gesehen hat. "Die Welt verbrennt auf meinem Video" (aus "Zwischen Null und Zero", 1986), "Deutschland geht vor die Hunde" (aus "Über Nacht", 989), und "Nix mehr zu hoffen" (aus "Schicht", 1989) drücken negative und depressive Stimmungen aus. Auch in dem Album "Himmel und Hölle" von 1995 überwiegen depressive Songs. Als Kontrast dazu hat er ganz am Anfang in seiner Zeit mit Ton, Steine, Scherben noch geschrien "Macht kaputt, was euch kaputt macht", "Wir sind geboren, um frei zu sein...und wir werden es schaffen", "die letzte Schlacht gewinnen wir" und "Mach 'ne Faust aus deiner Hand". Rio's Hoffnungslosigkeit und Zuversicht wechseln sich häufig und schnell ab. "Glücklich sein und traurig sein waren zwei Gefühle, die glaube ich ziemlich gleichwertig bei ihm [Rio] zusammen kamen" (Elser Maxwell, in "Ich bieg Dir 'n Regenbogen", 1997, Zitateseite). Dies bestätigt Rio auch in dem Song "Wenn ich mir was wünschen dürfte" mit den Zeilen "Wenn ich mir was wünschen dürfte, möcht ich etwas glücklich sein, denn wenn ich gar zu glücklich wäre, hätte ich Heimweh nach dem Traurigsein."
Diese Welt hat Rio Reiser depressiv gemacht. Versuchen wir, es besser zu machen. "Und doch fragt mich jeder neue Tag, auf welcher Seite ich steh. Und ich schaff's einfach nicht, einfach zuzusehen, wie alles den Berg runtergeht." (aus: Wann?)

Lesezeichen setzen:
Kommentare

Christoph Häusele am 13.02.2009
Zitat: "Der Song "Der Turm stürzt ein" (1980) soll sicher auf den Turm von Babylon anspielen."
In den Erinnerungen der Musiker ist folgendes zu lesen: Als die Band "Ton Steine Scherben" das "Album IV" konzipierte, auf dem sich ja der Titel "Der Turm stürzt ein" befindet, zog jeder Musiker Karten aus dem Tarot-Spiel, und die jeweilige Karte wurde in Musik umgesetzt. Bekanntlich gibt es unter den 22 Trumpf-Karten auch die des einstürzenden Turmes, dessen Bedeutung allerdings alles andere als negativ zu verstehen ist (Turm auch als Symbol der selbstüberheblichen Männlichkeit - der Turm war immer schon ein männliches Zeichen, natürlich auch als Phallus-Symbol): Altes muss kaputt gehen, damit Neues entstehen kann. Aus diesem Grunde lachen die auf der Tarot-Karte abgebildeten, vom Turm hinabstürzenden Menschen auch meistens. Vor diesem Hintergrund wird offensichtlich, warum Rio den Refrain dieses Liedes so fröhlich singt (vgl. auch den Text: "Halleluja, der Turm stürzt ein").
Tim J. am 14.02.2009
Das Rio es, vielleicht auch erst im Nachhinein, zwiespältig sieht und es ist eben auch zwiespältig, kann man auf einem Livetrack hören, auf dem er sagt (frei zitiert): "Dann woll'n wir mal hoffen, dass er uns nicht auf den Kopf fällt."

Das sollte man sich immer überlegen! Wenn man etwas im Nahmen einer Revolution, oder einer Bewegung, zerschlagen will. Gibt es einen Ersatz und in dieser Ersatz real durchführbar und füllt er wirklich all das, was sein Vorgänger gefüllt hat. Falls es keinen Ersatz gibt, oder dieser Ersatz sich nicht etabliert: Was ist dann?

Rio erwähnt dabei auch das bekannte Menetekle, indem er: " mene mene tekel u-pharsin", in den Text ein baut. Wenn man nun nachdenkt, wem soll es ein Menetekel sein, dass der Turm einstürzt?
Es ist keines, für die, die da gerade gestürzt werden, es ist ein Menetekel für die, die da gerade den Turm umfallen sehen. Denn mit ihren Türmen kann und wird das Selbe geschehen, irgendwann und dann werden die, die ihn zu fall gebracht haben, genauso Jubeln, im Gedanken es besser zu können.

Die Aussage des ganzen ist also: Überschätzt nicht euch selbst und vor Allem nicht eure Ideen. Dieser Song ist vielleicht gar nicht als "Angriff" auf das System gedacht, sondern als Angriff auf die, die meinen das System einfach stürzen zu können, um eine Utopie zu errichten.

Dieses Lied ist eine doppelschneidige Klinge.
Kommentar schreiben



Kommentare werden von uns überprüft, bevor sie auf der Seite erscheinen.

Zeig uns bitte, dass Du keine Maschine bist

Gib bitte hier Deinen Namen rückwärts und ohne Leerzeichen ein: