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Zeitraum
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Datum

00.06.1986

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[unveröffentlicht]

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Prestige Journalistenbüro

Rio Reiser

"Es ist ja nicht so, daß ich jetzt plötzlich gegen Wackersdorf bin, nachdem das in Tschernobyl passiert ist. AKWs waren noch nie mein Fall. Ich brauch auch keinen Atomstrom. Was sich derzeit in Wackersdorf abspielt, was sich die bayerische Regierung an Statements leistet, ist nur eine besonders exquisite Unverschämtheit. Sonst lache ich über solche Sachen, aber jetzt stehen mir die Haare zu Berge. Ich kann nicht mehr lachen. Selbst wenn ich jetzt Strauß höre, kann ich nicht mehr lachen. Mir wird schlecht. Ich würde fast sagen, ich habe einen richtig körperlichen Bezug dazu. Ich sitze hier, knips meinen Videotext an mit den neuesten Statements und ärgere mich. Dann wird mir regelrecht körperlich schlecht. Ich werde so wütend, wie ich schon lange nicht mehr war. Meine erste Reaktion auf Tschernobyl war Hilflosigkeit. Kann ich jetzt Milch trinken? Soll ich es einfach ignorieren - Gifte nehme ich sowieso ständig zu mir. Mit einem Unfall war ja zu rechnen, alle hunderttausend Jahre sagt die Statistik. Aber das heißt ja nicht, daß der in der nächsten Zeit passiert. Plötzlich trifft das, was man irgendwo im Hinterkopf gewußt hat, doch ein."

Beim Tag für Afrika beteiligten sich einige Künstler offensichtlich nur aus Gründen der Imagepflege. Wie schätzt Du das für Wackersdorf ein?

"Ich muß Dir ehrlich sagen, das gehört auch bei mir dazu. Problematisch wird es, wenn jemand nur kommt, um sich sein Image zurechtzulegen, aber letztendlich interessiert ihn die ganze Scheiße überhaupt nicht. Aber ich hab gehört, daß die Zusagen von Wackersdorf sowas von schnell kamen wie noch nie zuvor. Das hat glaube ich damit zu tun, daß alle wirklich - jetzt kommt das blöde Wort - betroffen sind. Viele von denen haben Kinder. Ich glaube, daß in diesem Fall die Frage der Imagepflege nicht sehr im Vordergrund stand, sondern ein Aufatmen, irgendwas passiert, irgendwas kann ich ja wirklich tun. Es gibt ja so einen Trend, ein Rockmusiker muß links sein, da gehört es eben dazu, daß man bestimmte Sachen mitmacht, ohne sich dazu Gedanken zu machen, einfach die Situation ausnutzen. Es gibt auch kleinere Bands, die sich einfach fürchterlich freuen, wenn sie mal auf einem größeren Festival vor vielen Leuten spielen können, und da interessiert sie der Anlaß gar nicht so sehr, Nur aktuell bei diesem Festival sehe ich das nicht. Ich wäre der erste, der mit Dir ätzen würde. Aber da ist bei allen Beteiligten glaube ich wirklich eine Überzeugung dahinter. Deshalb gehe ich da auch hin. Ich mag eigentlich nicht diese Geschichten, wo alle hinrennen. Irgendwann mußte ja jeder für den Frieden spielen, ein Friedenslied machen. Ich mag das nicht."

Wie wird das Festival weiterverwertet? Gibt es wieder eine Platte?

"Es wird gefilmt, wahrscheinlich wird auch eine Platte gemacht. Sicher wird die Industrie darauf einsteigen. Ich weiß nicht, ob nicht jetzt schon der Hickhack losgeht, welche Firma den Sampler rausbringen darf. Das ist doch klar. Es wird auch ein Geschäft, selbst wenn tatsächlich das ganze Geld korrekt gespendet wird. Man sagt ja auch: Der Kapitalismus verkauft noch seinen eigenen Strick."

Du sitzt also nicht gerade an einer Komposition für das geplante gemeinsame Schlußlied?

"Nee. Ich hab aber gehört, daß die Kollegen bereits fleißig an ihren Bleistiften knabbern. Ich muß auch ehrlich sagen, daß mir schon etwas unheimlich ist bei dem, was da alles zum Schluß stattfinden soll, daß alle dastehen und gemeinsam We shall overcome singen oder wie die neue Hymne heißen wird, die gerade welche dafür schreiben. Das gibt so ein verwaschenes Solidaritätsgefühl. Mich interessiert eigentlich Widersprüchlichkeit in so einem Rahmen mehr.Ich muß auch ehrlich sagen, allerdings überlege ich auch, was ich überhaupt da bringen kann. Vielleicht kommt sogar was Neues dabei raus, aber ich habe jetzt nicht den Ehrgeiz, unbedingt einen AKW-Song zu schreiben. Ich habe mir gestern die Mühe gemacht. alle Scherben-Songs noch mal durchzugehen. Und ich finde, da gibt es einige, die sehr aktuell sind. Zum Beispiel "Der Traum ist aus", das sitzt. Warum soll ich unbedingt was Neues schreiben, um ausgerechnet das Wort Wackersdorf drin zu haben. Das interessiert mich nicht."

Anmerkungen

Das Interview wurde vom Prestige Journalistenbüro ca. Juni/Juli 1986 geführt. Eine Kopie liegt vor.

Prestige Journalistenbüro
Fidicinstr. 3
1000 Berlin 61
Tel: 030 694 2934
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