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Datum

00.09.1976

Medium

Nur Musik

Ausgabe

Seite

AutorIn

Günter Scheding

Leben auf dem Lande

Ton, Steine, Scherben - die wohl bekannteste der Gruppen, die man in die Schublade des "Polit-Rock" steckte - hat die Großstadt Berlin, ihr bisheriges Domizil, verlassen. Die "Scherben", deren Name sowohl die Besetzung des Georg-von-Rauch - Hauses als auch den Frankfurter Häuserkampf assoziieren läßt, deren Lieder (Rauch-Haus-Song, Keine Macht für Niemand u.v.a.) Ausdruck des politischen Potentials links von etablierten studentischen K-Gruppen (KPD, KBW, DKP ...) wurde, haben sich aufs Land zurückgezogen. Ob es wirklich ein Rückzug war, das beantwortet unter anderem dieses Interview.

Frage: Wie und wann sind damals eigentlich die Scherben zusammengekommen?

Antwort: Das ist eine lange Geschichte. Es fing schon in den 60er Jahren in verschiedenen Theatergruppen an, beispielsweise in Hoffmanns Comic Theater. Und plötzlich gab es dann Ton Steine Scherben.
Unser Problem war immer, daß man keine Trennung machen wollte zwischen privatem Leben und dem, was man eigentlich produziert. Da waren am Anfang immer so Schwierigkeiten, daß man getrennt wohnen mußte und kann immer nur zwei oder drei zusammen wohnen konnten. Das änderte sich erst, als wir bei Giorgio einzogen. Erst 73 hatten wir dann mal ne Zeitlang aufgehört, weil uns die ganze Sache über den Kopf gewachsen war.

Frage: Warum über den Kopf gewachsen?

Antwort: Das hing mit ein paar Erfahrungen zusammen, die wir bei Konzerten gemacht hatten. 1973, als in Frankfurt der Häuserkampf lief, da haben wir zwar sehr gut gespielt, aber ich zum Beispiel hatte das Gefühl, daß wir die Sache nicht mehr in der Hand hatten.
Wir waren damals sehr oft auf Tournee und was wir in den Liedern sangen, das zu erleben ging irgendwie nicht mehr. Es war praktisch nur noch Programm, wir haben uns hinterher selbst nicht mehr geglaubt. Das war also eine völlig eingelaufene Sache. Es lief wie eine Maschine ab. Man konnte unheimlich viele Sachen durchplanen und wußte ganz genau, wenn das und das passiert, kommt das und das dabei heraus. Aber es war überhaupt keine Spontanität mehr drin. So hatte ich oft das Gefühl bei einer Veranstaltung: wiegelst du die hier alle auf, so weit, daß es gefährlich wird für dich selber und für alle Leute, kannst du überhaupt verantworten, was du so abziehst.
Dann war das ja so: da war die linke Studentenszene und die Scherben wurden bekannt und dann kamen nur noch Linke zu den Konzerten. Die haben uns dann auseinandergepflückt wie die Weltmeister, weil sie nur ihre Sachen hören wollten. Bei so einem Wort wie "Paradies" sind sie sowieso immer ausgeflippt und haben gesagt, sowas gibt's nicht. Es war nicht drin, all das in Ruhe aufzuarbeiten und da haben wir gesagt, machen wir Schluß.

Frage: Meint ihr nicht, das so ein Rückzug aus der Großstadt ein Rückzug aus der ganzen Entwicklung ist?

Antwort: Also kein endgültiger Rückzug, nur ein neuer Anfang. Wir bleiben ja nicht nur auf dem Land...

Frage: Ihr habt ja nun Musik gemacht, die unmittelbar versuchte einzugreifen in die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Ihr habt bestimmte gesellschaftliche Veränderungen angestrebt, sagen wir mal ganz vage ,,Sozialismus".

Antwort: Ja, aber das ist nicht nur Sozialismus. Das berührt sehr viele Ebenen. Wir wollten im Konzert erst mal jeden persönlich ansprechen, das war das Wichtigste. Wir haben unsere Konzerte auch so aufgebaut, daß wir erstmals Lieder gesungen haben, in denen sich jeder wiederentdecken konnte, um dann vom Persönlichen zum Allgemeinen rüberzukommen oder zum Gesellschaftlichen, wenn du so willst. O.k., man kann sagen, wir haben soundsoviel Häuser besetzt, das war vielleicht eine gesellschaftliche Veränderung, wir haben soundsoviel Konzerte gegeben, wir haben soundsoviel Mal bei soundsoviel Leuten Gehirnwäsche gemacht. Wir haben auch Informationen gegeben, vielleicht sind ein paar hängengeblieben, vielleicht ist auch alles in die Luft gegangen, woran willst du das messen?

Frage: Zumindest hat es ja eine Menge Leute gegeben, vor allem Lehrlinge, die auf eure Musik gestanden haben, die auch eure Platten gekauft und euch nach Berlin geschrieben haben.

Antwort: Ja, sie haben uns auch Briefe geschrieben. Das waren so Briefe, wo du selber sehen konntest, was du anrichtest oder was du nicht machst. Wenn einer schreibt, dann nimmt er sich die Zeit und will dir was mitteilen und will in Kontakt mit dir treten, so Leute, denen wir Mut gemacht haben und das haben wir gerne gemacht.
In so trostlosen Zeiten wie heute ist das gut, wenn wir das erreichen. Das ist vielleicht wenig, weil eh keine gesellschaftliche Veränderung ist. Aber es kann auch viel sein, wenn irgendwo ein Feuer nicht ausgeht bei irgendjemand. Ich war überrascht, daß die Leute auf die letzte Platte (,,Wenn die Nacht am tiefsten") geschrieben haben, sie fänden sie erst nicht so gut. Beim ersten Mal hätten sie gedacht, was ist denn mit denen los und früher waren die ja viel aggressiver. Dann schrieben sie in fast allen Briefen, beim mehrmaligen Hören hätte es ihnen besser gefallen und sie seien näher rangekommen. Es ist einfach eine Frage, wie man zuhört.

Frage: Ihr realisiert doch eure Vorstellungen von einer anderen gesellschaftlichen Existenz, soweit das eben im Rahmen dieser Gesellschaft möglich ist?

Antwort: Sagen wir mal so: der Alltag ist natürlich haarig hier. Man hat seine Kämpfe im Alltag so wie jedermann. Aber wir versuchen es. Für viele Leute ist das unheimlich schwierig. Vielleicht, weil sie gar nicht die Bedingungen dazu haben oder den Mut. Aber was mich immer gereizt hat, war, daß man in Verbindung bringt, was man denkt, will oder sagt - daß sich das dann umsetzt im praktischen Handeln.

Frage: Einen politischen Anspruch habt ihr ja auch gehabt. Ich erinnere mich an den Häuser-Kampf in Frankfurt. Die Leute standen da auf eure Lieder, warum?

Antwort: Es war ihr eigener Wunsch, mal anders zu leben. Sie haben genügend auf den Deckel bekommen zu der Zeit und auch schon davor. Sie wollten einfach menschlichere Wohnverhältnisse haben. Dann ist es klar, daß man dafür kämpft. Wenn du da noch kämpferische Lieder dazu singst, dann ergänzt sich das. Wenn James Last in der Frankfurter Mensa gespielt hätte, dann hätten sie es nicht gemacht. Aber es war schon alles an der Grenze, da haben wir selber nicht mehr gewußt, ob es gut ist, jetzt noch mehr auf den Putz zu hauen. Gewalt ist ja auch so eine Geschichte gewesen bei uns. Wir sind ein Stück mitgegangen und haben dann gesehen, hier läuft's im Kreis immer weiter, immer schneller bewegt sich das. Das hängt vielleicht auch mit Stadt und Land zusammen und warum wir alle nicht mehr in der Stadt sind. Dort ist das Leben viel gewalttätiger und was du siehst und deine Eindrücke.

Frage: Habt ihr da in Frankfurt so eine Art Verantwortlichkeit gemerkt zu dem, was eure Musik bewirkt oder bewirken kann?

Antwort: Ja, dieses Konzert war eine Art Schlüsselkonzert für uns selber gewesen. Ich hatte das Gefühl, hier kann ich selber nicht mehr sehen, was ich tue. Ich wollte immer selber verantworten, was ich tue und wenn ich was auslöse, will ich auch wissen, daß ich das selber mittragen kann. Ich wollte nie, daß mich eine Entwicklung total überrennt. So ähnlich wie der ,,Zauberlehrling". Es war unüberschaubar. Ich meine, es hätte Tote geben können, es hätte aber auch alles ganz harmlos enden können.

Frage: Das heißt aber doch, daß ihr auch beim Einsatz der einzelnen Lieder jeweils von einer Einschätzung der politischen Situation ausgegangen seid.

Antwort: Von der lokalen Situation, sagen wir mal. Es war immer unser Wunsch, wenn wir Konzerte vorbereitet haben, dies sehr lange im Voraus zu tun und im engen Kontakt zu den Leuten, die das eben organisierten. Zum Beispiel in Augsburg haben wir sehr lange korrespondiert, Monate bevor das Konzert stattfinden sollte und dann sagten die uns, dort wäre gar nichts los. Dann haben wir denen vorgeschlagen, wie wär's mit ner Kampagne ,,Jugendzentrum,, und was läuft bei euch in der Richtung? Es wäre gut, wenn wir da etwas in Bewegung setzen könnten. Daraufhin haben wir uns mit denen abgesprochen und gefragt, was wollt ihr selber mit dem Konzert machen, wie wollt ihr selber das Konzert gestalten, wie wollt ihr da selber mit eingreifen? Dann hieß es, o.k., wir können informieren, was hier läuft in Augsburg. Wir sagten, macht nen Sketch und zeigt was Sache ist in Augsburg und wir machen unsere Lieder. Dann können wir uns treffen und wenn die Leute hören, wie es in Augsburg aussieht, kommt vielleicht ein Gespräch mit allen Beteiligten zustande und irgendwas kommt zusammen.
So lief das eigentlich immer ab bei unseren Konzerten. Wir wollten nie die Band wie zum Beispiel die Stones in Altamont, die vom Hubschrauber rein und rausgeflogen werden, egal ob einer tot geht. Wir wollten die Sache gleichberechtigt mit dem Veranstalter vorbereiten und durchführen. Wir wollten nie so konsumiert werden, daß wir uns da vorne hinstellen und sagen, jetzt spielen wir unsere Lieder runter und was danach ist, ist uns scheißegal. Es war uns auch nie daran gelegen, so ein anonymes Konzert zu machen, wo möglichst viele Leute da sind. Uns ging es vielmehr darum, daß das persönlicher gehalten wurde, daß man sich auch wirklich kennenlernt dabei. Der Entfremdungsprozeß für die Musiker entsteht nämlich dadurch, daß man da einfach wieder abhaut und sagt, na ja, das Publikum hat bezahlt und hat sein Recht gehabt, mich hier zu hören und jetzt bin ich fertig und hau ab. Das kann meinetwegen David Bowie machen, aber das ist nicht mein Job. Ich meine, wenn man hier als Polit-Rock-Musiker oder Polit-Musiker betrachtet wird, ist das zu eng. Wir hatten uns früher wahrscheinlich auch so verstanden, aber du müßtest erst einmal fragen, was Politik überhaupt ist. Ich hab früher gedacht, Politik ist das, von wo aus sich die Geschichte bewegt. Jetzt glaub ich, das ist nicht mehr so einfach. Es ist nach außen hin das, was du am meisten siehst: die Politik. Wenn du eine Zeitung aufmachst, dann kommt da Politik raus oder die Folgen davon. Ich glaube, daß die Geschichte von uns Menschen und von der Erde von ganz anderen Kräften angetrieben wird und nicht von der Politik. Ich glaube nicht, daß wir mit Politik die Misere hier auf der Erde lösen können, das glaub ich nicht mehr. Ich glaub, das da andere frei kommen müssen im Menschen und im Verhalten der Menschen untereinander.
Früher hat man soviel Wert gelegt auf die Politk und weniger aufs Leben. Ich hab auch geglaubt, das ist Politik, was ich so 1971 bis 72 gemacht hab. Wenn ich das so im Nachherein überlege, habe ich da viele Sachen einfach unterschlagen. Auch so psychologische oder rein mitmenschliche Aspekte, was also so über das rein politische Denken hinausgeht. Und dahin mußt du einfach mit der Zeit wieder kommen. Es kann auch sein, daß wir wieder politischer werden, daß kann man heute nicht sagen. Vielleicht beschreiben wir nur gerade die Gedanken, die uns beschäftigen. Vielleicht schmeiß ich in zehn Jahren auch wieder mit Steinen, ich kann das nicht sagen, obwohl ich heute sagen möchte, daß ich das nicht will.

Frage: Ihr habt doch aber zu "Befreiungsversuchen", wie zum Beispiel Jugendzentren beigetragen?

Antwort: Es ist nicht gut, wenn so viele Leute verlangen, daß andere für sie besser wissen. Du kannst nicht warten, daß da ne Musikband kommt und sagt, nun machs so oder so, nun mußt du ein Haus besetzen. Das ist der ,,Rattenfänger-von-Hameln - Effekt", daß die Leute hinterherrennen und dann irgendwas machen. Ich finde das verkehrt, weil da die Leute nicht mehr denken müssen. Ein gemeinsames Wollen muß sein. Es muß Übereinstimmung da sein und kein Machtverhältnis. Ich meine, von Macht sind wir auch noch nicht frei. Was wir im Moment machen ist Familienpolitik, daß man zueinander kommt, daß man sich versteht, daß man zusammenleben kann, daß man auch erst die Machtsachen aus dem Wege räumt. Der eine meint, er weiß eben besser Bescheid und übergeht die anderen. Und bis das geklärt ist, brauchst du ne Zeit. Daß unser Leben hauptsächlich nach innen geht, das ist auch für uns etwas Neues. Da komm ich auch nicht immer mit klar, weil ich ab und zu das Gefühl hab, daß sich das zu sehr um uns dreht, was wir denken und machen. Manchmal bin ich ein wenig ungeduldig und möchte was nach außen hin machen. Weil das ja bedeutet, daß du den Leuten was gibst und was kriegst, wenn du singst, spielst oder lachst, zumindest ne Schwingung, ich glaub, daß fehlt uns ein bißchen.
Ärmer sind wir als je zuvor. Wir leben unheimlich bescheiden. Wie wenig Geld wir für den Haushalt ausgeben, kann sich keiner vorstellen. Die meisten von uns haben nicht mal eine Krankenkasse. Also, arm sind wir wirklich, das ist auch unser Glück, finde ich.

Anmerkungen

"Nur Musik" war ein Berliner Stadtmagazin
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